Ein radl auf 3.000 Metern

Das Ötztal birgt nicht nur spannende Sagen – auch aktuelles Geschehen versetzt einen immer wieder aufs Neue ins Staunen. So zum Beispiel die Geschichte des Gletscherrads, das in 3.000 Metern Höhe mitten am Gletscher gefunden wurde. Das Ötztaler Heimatmuseum erzählt.

Kulturwissenschaftlerin Dr. Edith Hessenberger schreibt seit Mai 2018 als neue Geschäftsführerin der Ötztaler Museen GmbH „Museumsgeschichte“. Ihr Auftrag: Historisches in Bezug auf das Heute zu vermitteln. Ihr Wirken: mit  neu erzählten Geschichten das kulturelle Erbe des Tales in den Ötztaler Museen interessant zu machen. Denn die Erzählung von Kulturgeschichte unterliegt einem Wandel – manchmal reicht schon ein Objekt, um die Geschichten
eines ganzen Jahrhunderts zu erzählen.

Das ist beim sogenannten „Gletscherrad“ der Fall: Im Sommer 2018 kam über Facebook eine Nachricht zu einem spektakulären Fund an das Ötztaler Heimatmuseum. Hoch oben auf dem Rotmoosferner, einem Gletscher in 3.000 Metern Höhe, fanden zwei Sportwissenschafterinnen ein rostiges Fahrrad im Schnee. Die Bedeutung dieses Funds konnte Edith schon erahnen und stieg eigenhändig auf den Gletscher, um das Fahrrad zu bergen. Diesem Fund folgten monatelange Recherchen, die tiefe Einblicke gewährten: Schmuggel, Sprengstoff- und Waffentransporte, Flucht und Totschlag – ein interdisziplinäres Rechercheteam beleuchtete anhand des Fundes die spannende Zeitgeschichte, die sich am Alpenhauptkamm zugetragen hat. Wie kam das Fahrrad auf den Gletscher? Waren es Soldaten, die vor Ihren Gegnern flüchteten? Waren es „Mountainbiker“ in früheren Zeiten? Waren es Schmuggler, die Tabak, Zucker oder ähnliches Gut transportierten? Das Gletscherrad gibt Anlass zu zahlreichen Spekulationen – denn es ist einer von vielen Funden auf dem Gletscher, die jede Menge Zeitgeschichte erzählen.

Doch was ist nun Wahr?

Die wahre Geschichte gibt es nicht“, weiht uns Edith ein. „Am schlüssigsten ist die Annahme, dass am Ende des 2. Weltkriegs ein von Italien kommender deutscher Wehrmachtssoldat, ziemlich wahrscheinlich war er nicht ortskundig, mit dem Rad auf der Schulter zur Grenze aufstieg, um auf der Ötztaler Seite damit ins Tal zu fahren. Oben angekommen, musste er feststellen, dass eine Abfahrt über den Rotmoosferner ausgeschlossen ist. Also hat er das Rad zurückgelassen und sich zu Fuß auf den Weg gemacht.“ Ob diese Geschichte wahr ist oder nicht, weiß nur das Fahrrad, das in der Ausstellung im Ötztaler Heimatmuseum bestaunt werden kann. Und wer mehr über die Zeitgeschichte der Gletscherfunde lesen möchte, dem sei das Buch „Geschichten von der Grenze in den Ötztaler Alpen“ ans Herz gelegt.

Heimatmuseum Ötztal

Lehn 24, A- 6444 Längenfeld
Tel. +43 (0) 664 910 23 21
www.oetztalermuseen.at


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